„Der Tod ist gewiss, ungewiss nur die Stunde“, heißt es. Nun ist diese Stunde gekommen. Wir nehmen Abschied von unserem Kameraden Heinz Wigger, der am 11. August 2022 im Alter von 98 Jahren von uns gegangen ist.
Heinz war ein Scheidinger Urgestein, der in vielen Vereinen gewirkt hat: In der Schützenbruderschaft, im Sportverein, im Männergesangverein und ganz besonders in der Soldatenkameradschaft, der er 70 Jahre angehörte.
Nächstes Jahr im November wäre Heinz 100 geworden. Ein sehr langes und erfülltes Leben, in dem er seine Pflicht getan hat, wie es so treffend in der Traueranzeige heißt.
Als junger Mann hat Heinz an Leib und Seele erfahren, was Krieg und Diktatur bedeuten: Tod, Leid und Zerstörung. Mit gerade mal 18 Jahren wurde er im März 1942 in die Wehrmacht eingezogen, kam zum Fronteinsatz nach Rußland und wurde in Stalingrad verwundet. Ein Streifschuss am rechten Oberschenkel und ein Durchschuss am rechten Oberarm brachten ihn aus dieser Hölle heraus. Über Warschau ging es ins Lazarett nach Naumburg an der Saale. Heinz sagte immer, dass er sehr viel Glück gehabt habe.
Nach seiner Genesung folgten weitere Kampfeinsätze, diesmal an der Westfront. In Rheine überlebte er einen schweren Bombenangriff und verlor auf einen Schlag viele Kameraden. In der Nähe von Hamm geriet er schließlich in amerikanische Kriegsgefangenschaft und wurde auf den Rheinwiesen interniert. Später kam er in die Hände der Franzosen und zum Arbeitseinsatz nach Südfrankreich. Im Februar 1948 kehrte er endlich in die Heimat nach Scheidingen zurück, enttäuscht und deprimiert, wie er selbst schreibt.
Noch Jahrzehnte später erinnerte er sich dankbar und gerührt daran, wie ihm der Männergesangverein bei seiner Rückkehr zur Begrüßung ein Ständchen gebracht hatte. Auch das hat er Zeit seines Lebens nie vergessen.
Aber wie ging er mit den schrecklichen Erlebnissen um, mit dem Verlust so vieler Kameraden, die an seiner Seite „gefallen“ waren, wie es oft beschönigend heißt?
Als Heinz heimkehrte, gab es noch keine Psychologen, die sich um die ehemaligen Soldaten und ihre seelischen Verletzungen gekümmert hätten. Heute würden diese traumatischen Erlebnisse von Experten behandelt. Damals war man größtenteils auf sich allein gestellt, musste schauen, wie man mit seinen Albträumen zurecht kam. Als die Krieger- und Soldatenkameradschaft im Jahr 1952 wiedergegründet wurde, war zumindest eine Anlaufstelle geschaffen, um sich mit anderen Kriegsteilnehmern auszutauschen und das Erlebte gemeinsam zu verarbeiten.
Heinz war sofort dabei. Nach vielen Jahren Vorstandsarbeit übernahm er im Jahr 1985 den Vorsitz von Franz Wiek. 17 Jahre war er unser Kameradschaftsführer, der sich weitsichtig für die Umbenennung des Vereins in Soldatenkameradschaft einsetzte. Obwohl selbst Krieger gewesen, ließ er das belastete Wort „Krieger“ aus dem Vereinsnamen streichen. In seine Amtszeit fielen auch das 125-jährige Vereinsjubiläum im Juli 1996 sowie der legendäre Sieg beim friedlichen „Spiel ohne Grenzen“ des Sportvereins, noch vor der Landjugend und der Schützenbruderschaft.
Auch nachdem Heinz den Vorsitz im Jahr 2002 niederlegt hatte, blieb er der Kameradschaft eng verbunden. Ein mahnender Zeitzeuge, der sich für den Frieden einsetzte und mit seinem ausgeprägten Redetalent auch in dieser Funktion sein Bestes gegeben hat.
Gern erinnere ich mich an einen Grillabend in seinem Garten. Auf diese „Klönabende“, wie er sie nannte, freute er sich ganz besonders. Zu später Stunde kam schließlich auch der ersehnte französische Cognac auf den Tisch, über den er zuvor schon viel erzählt hatte, vielleicht in Erinnerung an seinen unfreiwilligen Aufenthalt in Südfrankreich.
Mit Heinz Wigger verlieren wir einen guten Kameraden, den letzten Soldaten aus unserem Dorf, der noch im Zweiten Weltkrieg gekämpft hat. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.
Lieber Heinz: Ruhe in Frieden!
(Trauerrede anläßlich der Beerdigung des ehemaligen Kameradschaftsführers Heinz Wigger am 16. August 2022 in Scheidingen)