Erinnerungen des Kriegsteilnehmers Fritz Diers

Erinnerungen des Kriegsteilnehmers Fritz Diers aus Wambeln (Jg. 1926) 

Zur Einführung:

Fritz Diers wurde 1944 Soldat. Der damals erst 17-jährige Jugendliche kämpfte im besetzten Holland, wurde später verwundet und geriet schließlich in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Im Sommer 1946 durfte er heimkehren. Er hat die Schrecken des Krieges überlebt. Einen Weltkrieg mit mehr als 55 Millionen Toten, der von Deutschland ausging und nach Deutschland zurückkehrte. Das Ergebnis einer verbrecherischen Ideologie und Gewaltherrschaft.

Die NS-Propaganda verherrlichte den Krieg mit einem Kult um die gefallenen „Helden“. Fritz Diers hat an Leib und Seele erfahren, was „totaler“ Krieg tatsächlich bedeutet: massenhaftes Sterben auf den Schlachtfeldern und die Bombardierung der Heimat.

Je weniger Zeitzeugen, je geringer die persönliche Betroffenheit, desto schwieriger das Gedenken. Dennoch bleibt es wichtig, daran zu erinnern, was damals geschah. Allerdings ist zu fragen, wie wir dieses wichtige Thema gerade jüngeren Menschen in unserer schnelllebigen Zeit vermitteln können.

Es darf keinen Schlussstrich geben. Nicht etwa, weil die heutige Generation schuldig wäre an den Verbrechen, die einst im deutschen Namen begangen wurden. Sondern um aus der Geschichte zu lernen.

Die Geschichte mahnt uns, Verantwortung zu übernehmen für ein friedliches Miteinander. Ein Leben in Frieden und Freiheit in einem demokratischen Rechtsstaat ist nicht selbstverständlich. Unsere Werte müssen wir schon selbst sichern und schützen, notfalls auch mit militärischen Mitteln. Dazu brauchen wir eine einsatzfähige Bundeswehr – und junge Männer und Frauen, die bereit sind, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.

 

Dokumentation: Auszug aus einer Rede von Fritz Diers zum Volkstrauertrag am 17. November 2019 in Illingen

[…] „Ich persönlich war, als der Zweite Weltkrieg begann, 13 Jahre alt. Obwohl der Krieg eigentlich weit weg war, bekamen wir die Auswirkungen schon bald zu spüren. Unter anderem werde ich zwei Ereignisse, die ich als Jugendlicher erlebt habe, nicht vergessen. Und das war ein Vorgeschmack auf das, was später noch kommen sollte.

Am 18. Mai 1943 mussten wir, das war die männliche Jugend zwischen 14 und 18 Jahren, die so genannte „Hitlerjugend“, morgens auf dem Schulhof antreten und los ging es nach Fröndenberg. Bis dahin wussten wir von nichts. Dann aber erfuhren wir, dass feindliche Flugzeuge die Sperrmauer der Möhne zerstört hatten. Und einige gewaltige Flutwelle durch das Ruhrtal bis an den Baldeneysee See in Essen geströmt war. […] Noch Jahre später klang Bürgern aus Niederense, wenn sie sich erinnerten, das Rauschen der Flutwelle und das entsetzliche Schreien der Frauen, die alle ertrunken sind, in den Ohren. Das Kloster Himmelspforten und alle Gebäude wurden bis auf die Grundmauern abrasiert. Unsere Aufgabe in Fröndenberg war es dann in dem Schlamm und Geröll nach Leichen zu suchen. Wo eine Hand oder ein Fuß zu sehen war, war in der Regel noch etwas dran. Wir mussten die Stellen markieren, mehr hätten wir auch nicht gekonnt.  Andere haben sie dann herausgezogen und an den Rand abgelegt. Wie viele Opfer in Fröndenberg umgekommen sind weiß ich nicht. In Wickede, die Station vorher, waren es 117. Derer wird heute noch einmal im Jahr in einer Feierstunde gedacht.

Das zweite Ereignis, woran ich mich noch gut erinnern kann, war Pfingsten 1942: Wir sollten ein schönes Pfingstfest im Zeltlager in Lünen erleben. Samstags ging es in aller Frühe los. Zu Fuß ging es zunächst bis Rhynern. Dann über die Autobahn bis zum Kamener Kreuz und dann der Rest bis nach Lünen. Mittags sind wir zu Fuß angekommen. Mitten in der Nacht, wir waren gerade eingeschlafen, ging die Trillerpfeife: „Aufstehen zum Katastropheneinsatz!“ Ab ging es nach Bochum. Dort hatte nachts ein Bombenangriff stattgefunden. Wir mussten helfen, Verschüttete zu befreien.  Gegen Mittag sah ich ein junges Mädchen, vielleicht 17 Jahre alt, auf einem Stein sitzen, kreidebleich, nicht ansprechbar. Nachher erfuhr ich, dass das  Mädchen bei einer Freundin nachts geschlafen hat – außerhalb von Bochum.  Als sie mittags nach Hause kam, sah sie wie ihr Haus zerstört war, aber die Kellertür wieder freigemacht wurde. Herausgetragen wurden die Großeltern,  die Mutter und zwei Geschwister. Alle tot – wurden auf einen Wagen geladen und abtransportiert. Ob das Mädchen erfahren hat, wohin sie gekommen sind, das weiß ich nicht.

Am 15. Januar 1944 musste auch ich Soldat werden und kam zum Bataillon 365, das in Holland stationiert war. Bis etwa August 1944 kamen wir gut zurecht und hatten auch ein gutes Verhältnis zur dortigen Bevölkerung. Bis dann die Offensive der Alliierten Holland erreicht hatte, um es von der deutschen Besatzung zu befreien.  Bei den schweren Kämpfen kam auch unser Btl. zum Einsatz und es gelang uns, den Vormarsch des Gegners ein paar Wochen zu stoppen. Dabei wurde ich plötzlich bewusstlos. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einem Lazarettzug. Was geschehen war, habe ich nie richtig erfahren können. Wahrscheinlich haben Sanitäter nach Verwundeten abgesucht und mich dabei gefunden. Und festgestellt, dass ich noch am Leben war. Sie haben mich dann in den Lazarettzug, der auf dem Weg nach Pilsen in der Nähe von Prag war, untergebracht. Festgestellt wurde, dass ein Granatsplitter meinen Helm durchschlagen hatte und im Kopf stecken geblieben ist. In Pilsen angekommen, wurde ich in eine Spezialklinik operiert – ohne Betäubung.

Nach der Genesung im Dezember 1944 ging es dann zu einem ROB-Lehrgang nach Detmold, wo wir Anfang April ein Gewehr und eine Panzerfaust in die Hand gedrückt bekamen, um das Vaterland zu retten.

[…] Auf dem Weg von Detmold bis zur Front kamen wir bis Drensteinfurt. Heinz Wigger aus Scheidingen war auch dabei. Wir konnten nur nachts marschieren, damit man uns nicht sehen konnte. Die feindlichen Hubschrauber und Tiefflieger waren überall und schossen auf alles, was ihnen verdächtig vorkam. Wer Lust hatte, den Heldentod zu sterben, hatte da Gelegenheit.

Für uns war Widerstand zu leisten, völlig zwecklos. Eine kleine Gruppe von uns ist dann unbewaffnet, die Hände hoch, ein weißes Tuch schwenkend, kurz vor Ahlen, das schon besetzt war, zugegangen. Ein Kommando, die Gewehre im Anschlag, die Finger am Abzug, empfing uns. Wir hatten Glück, der Befehl: „Gebt Feuer“ blieb aus. Eine falsche Bewegung von uns hätte wahrscheinlich dazu ausgereicht.

Wir kamen dann in das berüchtigte Gefangenenlanger Rheinberg, wo einfaches Ackerland eingezäunt worden war, Wasser gab es genug. Ein Bauer hatte ein Jauchenfass mit Wasser hingestellt, das im nachgefüllt wurde. Zu essen gab es, wenn überhaupt, verschimmeltes Weißbrot oder abgelaufene Konservenreste. Die Wohnung war auch nicht gerade einladend. Josef Feldmann aus Hünningen, den ich gut kannte, und ich hatten mit einer Konservendose ein Loch in die Erde gebuddelt, damit wir ein wenig Schutz fanden. Alle, die diese Unterkunft nicht verkraftet haben, wurden am Eingang abgelegt und jeden Morgen eingesammelt.

Nach etwa vier Wochen kamen wir dann mit einem offenen Güterzug nach Südfrankreich, andere nach Nordafrika, bis zur Entlassung in ein anderes Gefangenenlanger, wo wir wieder aufgepäppelt wurden.“