Volles Haus beim Videoabend der Soldatenkameradschaft Scheidingen/Illingen: Mehr als 60 Gäste machten sich am 11. April 2024 auf den Weg ins Pfarrheim, das zu einem Kinosaal mit großer Leinwand umfunktioniert worden war. Im Hauptprogramm lief ein im Mai 2019 aufgezeichnetes Zeitzeugeninterview mit Heinz Wigger, im Nebenprogramm Fotos aus alten Scheidinger Zeiten, die Franz-Josef Berz alias „Schwede“ zusammengestellt hatte.
Heinz Wigger beschreibt zunächst das dörfliche Leben in seiner Jugend in den 1930er Jahren, bevor er in bewegenden Worten auf seine Erlebnisse als junger Soldat im 2. Weltkrieg eingeht. Der frühere Kameradschaftsführer schildert die Härten des Krieges und die frühe Konfrontation mit dem Tod. Gern habe er damals das Lied „Lili Marleen“ von Lale Andersen gehört, das die Stimmung von Millionen Soldaten traf. Übrigens hieß seine spätere Frau Marlene. Sein Fazit: Er sei immer vorsichtig gewesen, habe aber auch viel Glück gehabt und auf diese Weise überleben können.
Wigger (Jahrgang 1923) wurde 1941 als 19-Jähriger eingezogen und nahm zunächst am Rußland-Feldzug teil (Unternehmen „Barbarossa“). Mit seiner Infanterie-Einheit sollte er die in Stalingrad eingeschlossene 6. Armee aus dem Kessel befreien, ein vergeblicher und äußerst verlustreicher Versuch der Wehrmacht. Er wurde zweifach verwundet und kam nach Lazarett-Aufenthalten in Warschau und Naumburg an der Saale in eine Genesenden-Kompanie nach Dänemark.
Gegen Kriegsende erlebte er die Bombardierung von Soest, Fliegerangriffe in Rheine und Wesel und geriet in Hamm in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Unter freiem Himmel musste er mit seinen Kameraden rund 3 Monate in einem Lager auf den Rheinwiesen bei Rheinberg ausharren, bevor ihn die Amerikaner an die Franzosen überstellten. Von Le Mans ging es nach Toulouse und dann zu einem langjährigen Arbeitseinsatz auf einem Weingut.
Erst 1948, nach insgesamt 7 Jahren Krieg und Kriegsgefangenschaft, durfte Heinz Wigger in die Heimat zurückkehren. Gerührt erinnert sich der 95-Jährige an das Ständchen, dass ihm damals der MGV „Harmonie“ zur Begrüßung gebracht habe.
Stefan Kaiser, Vorsitzender der Soldatenkameradschaft, zeigte sich überwältigt von der großen Resonanz an diesem Abend und begrüßte besonders die beiden Kinder von Heinz und Marlene Wigger, die das Videomaterial zur Verfügung gestellt hatten. Kaiser unterstrich die Bedeutung des Erinnerns und des persönlichen Zeugnisses. Beides sei gerade in Zeiten wie diesen wichtiger denn je, gerade auch für die jüngere Generation. Er bat darum, alte Fotos und Dokumente aus der Kriegszeit nicht wegzuwerfen, sondern der Soldatenkameradschaft zur Verfügung zu stellen.
Nachbemerkung zur Rolle des Soester Anzeiger
Auch der Soester Anzeiger war zu dieser Veranstaltung herzlich eingeladen, glänzte aber durch Abwesenheit. Auf Nachfrage ließ das Blättchen verlauten, dass über Vorträge, Diskussionen usw. nicht (mehr) berichtet würde. Mit Verlaub: Das ist ein bemerkenswertes journalistisches Selbstverständnis, zumal es in diesem Fall nicht um eine 08/15-Veranstaltung ging, sondern um einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur unseres Landes.
Früher verging kaum ein Tag ohne Jubelmeldung aus Kirchwelver. Diese “Selbstbeweihräucherungen“ wurden meistens wortwörtlich ohne Quellenangabe im Lokalteil des Soester Anzeiger abgedruckt, um die Seite zu füllen. Heute erscheinen PR-Storys über diverse Oldtimer und ihre jeweiligen Liebhaber, und zwar in epischer Breite. Frage: Was ist spannender?
Der Soester Anzeiger hat in den vergangenen Jahren bereits einen erheblichen Teil seiner Auflage eingebüßt, aus verschiedenen Gründen. Bei allem Verständnis für die wirtschaftlichen Zwänge der Lokalpresse: Wer seinen Auftrag nicht mehr erfüllen kann oder will, verliert weitere Kunden und macht sich selbst überflüssig!