Politik im Schneckentempo

Verstößt die Gemeinde Welver gegen das Abwägungsgebot, also gegen die zentrale Vorgabe für die kommunale Bauleitplanung? Eine interessante Frage – und ein Fall für die Kommunalaufsicht beim Kreis Soest. Worum geht es?

Die Gemeinde Welver plant die Änderung des Bebauungsplans Nr. 5 für das Gewerbe-/Industriegebiet Scheidingen am Bierbäumchen. Dazu fand am 8. Mai in der Scheidinger Schützenhalle eine gut besuchte Bürgerversammlung statt, in der u. a. Fragen zum Verkehrsaufkommen und zum Altreifenlagerplatz und den davon ausgehenden Gefahren gestellt wurden.

Die Anlieger insbesondere der Kreisstraße 14/Aulflucht klagen seit Jahren über eine unzumutbar hohe Verkehrsbelastung, bedingt durch den Ziel- und Quellverkehr des nahe gelegenen Gewerbe-/Industriegebietes. Die Anbindung erfolgt über die K 14 sowie über die Wambeler Straße (L669) und damit quer durch unser Dorf.

Nach § 1 (6) Baugesetzbuch sind sämtliche öffentlichen und privaten Belange zunächst zu ermitteln und erst danach gerecht abzuwägen.

In der Bürgerversammlung wurde den Teilnehmern jedoch erklärt, dass die Gemeinde auf ein Verkehrsgutachten verzichtet habe. Begründung: Durch die geplante Änderung des Bebauungsplans werde sich an den Verkehrsverhältnissen nichts ändern. Eine gewagte These! Denn wer kann schon ohne fundierte Untersuchung eine seriöse Aussage darüber treffen, wie sich die Verkehrsströme in Zukunft entwickeln werden.

Sowohl der Bürgermeister als auch der Bauamtsleiter und das beauftragte Planungsbüro sprachen von einer „Legalisierung“ des gegenwärtigen Zustands. Gemeint sind Flurstücke, die schon jetzt gewerblich genutzt werden, aber immer noch als landwirtschaftliche Flächen ausgewiesen sind. Darunter fällt z. B. auch der Altreifenlagerplatz im nordöstlichen Zipfel, Ecke K14/Alleenradweg, also direkt neben einem geschützten Landschaftsbestandteil.

Aus der Argumentation der Gemeindevertreter folgt, dass die berechtigten Interessen der Anlieger, die schon während des jahrzehntelangen „illegalen Zustands“ ignoriert wurden, auch nach einer „Legalisierung“ unberücksichtigt bleiben sollen.

Die Fachjuristen beim Kreis Soest grübeln aber noch über eine andere Frage: Ist die Gemeinde Welver ihrer Pflicht nachgekommen, ihre Bauleitpläne aufzustellen, „sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist“? Diese Forderung steht ebenfalls im Baugesetzbuch.

Das Wörtchen „sobald“ bedeutet landläufig „in dem Augenblick, da“ oder „gleich, wenn“. Aber nicht in der Gemeinde Welver! Dort versteht man unter „sobald“ eine „Politik im Schneckentempo“, die in 20 Jahren nichts bewegt hat. So lange herrschen im Gewerbegebiet schon Planungsunsicherheit und ungelöste Konflikte – ein Skandal! Und was taten die Aufsichtsbehörden in Soest und Arnsberg, um diesen Skandal zu beenden?

Aus den Sitzungsprotokollen geht hervor, dass der Gemeinderat bereits im Jahr 1998 den ersten Versuch unternahm, den Bebauungsplan Nr. 5 anzupassen mit dem Ziel, die bereits gewerblich genutzten „Flächen für die Landwirtschaft“ innerhalb des Gewerbegebiets auch rechtlich in Gewerbeflächen umzuwandeln. Dieser Versuch misslang!

Bis zum nächsten Versuch vergingen 17 Jahre! Am 29. April 2015 beschloss der Rat die Aufstellung der 5. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 5 Gewerbepark Scheidingen und parallel dazu die 34. Änderung des Flächennutzungsplans. Außerdem wurde die Verwaltung beauftragt, Erweiterungsmöglichkeiten des Gewerbegebietes in westlicher und/oder südlicher Richtung zu prüfen.

„Mit Grund und Boden soll sparsam und schonend umgegangen werden“, heißt es zumindest im Baugesetzbuch. Aber noch bevor die Überplanung für die immer noch landwirtschaftlich ausgewiesenen Teilflächen (ca. 5 ha) im bestehenden Gewerbegebiet erfolgreich abgeschlossen werden konnte, wurde aus politischen Kreisen bereits zusätzlicher Flächenbedarf angemeldet.

Das ist bemerkenswert, denn die Bezirksregierung Arnsberg hat für die Gemeinde Welver lediglich einen Flächenbedarf von 3 ha ermittelt. Zu berücksichtigen ist auch, dass im Flächennutzungsplan am östlichen Rand des Zentralortes (Ostbusch/Pferdekamp) bereits Gewerbeflächen in einer Größenordnung von rd. 8,6 ha ausgewiesen sind.

Das heißt, Welver hat nicht zu wenig, sondern zu viele Reserveflächen, die weit über dem von Arnsberg errechneten Bedarf liegen! Und das heißt auch: Welver hat eine Standortalternative östlich des Zentralortes, die sich verkehrsmäßig viel besser anbinden ließe. Diese Alternative müsste ebenfalls geprüft werden, wenn über eine Erweiterung des bestehenden Gewerbegebietes in Scheidingen diskutiert wird.